Andere Länder - andere (Un)-Sitten
von Max aus Roses
Hierzulande herrscht die Vorschrift, daß man für den Anschluß an das Versorgungsnetz fast so viele Bescheinigungen und Dokumen- te braucht, wie für den Kauf einer Immobilie selbst. Man braucht neben dem Kauf- oder Mietvertrag, die Meldebescheinigung und die Steuernummer, den Paß und eine cedula de habitabilidad, d.h. eine Bewohnbarkeitsbescheinigung und sog. Bulletins, d.h. Bescheinigungen des jeweiligen Handwerksbetriebes, daß haustechnische Installationen den gültigen Vorschriften entsprechen. Erstere kann nur ein eingetragener Architekt ausstellen, letztere die ausführenden Handwerksbetriebe.
Hier ist der Mensch nicht nur, wie bei Gericht und auf hoher See, in Gottes Hand, er ist in der Hand des Menschen in Gestalt seiner nicht immer lauteren Lieferanten. Diese halten naturgemäß die genannten Bescheinigungen solange zurück, bis sie alle Zahlungen erhalten haben. Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn alles in Ordnung ist und die Bauleistungen mängelfrei sind.
Da das so gut wie nie der Fall ist, versucht man als Bauherr durch Zurückhaltung offener Zahlungen seine Lieferanten zur Beseitigung der bestehenden Mängel zu motivieren. Im Einzelfall gelingt das häufig. Ist man jedoch einem Generalunternehmer oder gar einem Bauträger in die Hände gefallen, wird das Spiel zur Nervenprobe und kann kriminelle Züge annehmen. Die vormals klug erscheinende Entschei- dung, es nur mit einem, anstatt mit vielen Vertragspartnern zu tun zu haben, wird schnell zum Bumerang. Selbst wenn an diesen einen Vertragspartner alles bezahlt ist, kann man nicht sicher sein, daß auch die Vorlieferanten und Subunternehmer ihr Geld erhalten haben. An diesem Punkt hört dann der Spaß auf und fängt zuweilen die Erpressung an.
Ein aktenkundiger Fall aus Roses zeigt, daß ein Bauherr wegen gravierender Mängel die Schlußzahlung bis zur Beseitigung derselben zurückhalten wollte.
Der Generalunternehmer dagegen machte die Mängelbeseitigung von der vorherigen Begleichung der Schlußzahlung abhängig. Nun stand der Winter vor der Tür und der Kunde wollte Heizöl bestellen, um Frostschäden zu vermeiden, doch ohne Bulletin gibt’s kein Heizöl. Der Kunde hat nun so gut es ging, sein Haus mit teurem Strom beheizt. In Ermangelung des Bulletins hing das Haus jedoch noch am Baustrom, der - wie hierzulande üblich – zusammen mit der Wasserversorgung auf den Namen und Rechnung des Bauunternehmers lief.
Da die Angelegenheit zwischenzeitlich bereits über Rechtsanwälte lief, drohte der Anwalt des Bauunternehmers damit, Wasser und Strom abzustellen, wenn der Zahlungsaufforderung seines Mandanten nicht unverzüglich Folge geleistet werde. Die bestehenden Mängel wurden vorsorglich erst mal bestritten, obwohl bereits Gutachten über die Mängel und damit deren Feststellung vorlagen.
In Deutschland wäre ein Anwalt zumindest aus der Anwaltskammer geflogen und man hätte rechtliche Schritte wegen Erpressung gegen ihn unternehmen können.
Die beschriebene, hierzulande übliche Regelung, die eigentlich Lieferanten vor säumigen Kunden schützen soll, hat zur Folge, daß Bauherren auf Gedeih und Verderb den Lieferanten und ihren manchmal erpresserischen Methoden ausgeliefert sind. Die einzige Möglichkeit, dem zu entgehen, wäre von jedem Lieferanten eine Bankbürgschaft zu verlangen, ehe Zahlungen geleistet werden und vertraglich zu regeln, daß diese erst erlischt, wenn alle Mängel beseitigt sind. Vermutlich wäre jedoch die Zahl der Lieferanten, die dazu überhaupt in der Lage sind, klein und die Zahl derer, die eine derartige vertragliche Klausel akzeptierten, noch kleiner.
Die Zähler für Wasser und Strom von Anfang an auf den Namen und auf Rechnung des Bauherrn laufen zu lassen, wäre sinnvoller, praktischer und logischer, als Arbeitsbeschaffungsmass - nahme für Gutachter, Anwälte und Gerichte scheint die bestehende Praxis und Unsitte jedoch unverzichtbar zu sein.
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